Tastsinn 1.1

Die Haut des Aales ist mit besonders vielen Sinneszellen und Funktionen ausgestattet. Neben den unzähligen besonderen Aufgaben der Aalhaut mag die Funktion zur Wahrnehmung mechanischer Reize zunächst recht gewöhnlich und allgemein üblich erscheinen. Aber ein Aal wäre kein Aal, wenn er, neben dieser banalen Funktion der Haut, nicht auch noch etwas Besonderes zu bieten hätte.

Kontaktfreudig
Kontaktfreudig

Diese Besonderheit betrifft die extreme Kontaktsucht von Aalen während ihrer Ruhephasen. So ist bekannt, dass der Aal im Winter und Tagsüber, also immer dann, wenn er nicht auf Nahrungssuche oder Wanderung ist, quasi zwanghaft den Kontakt zur festen materiellen Außenwelt sucht. D.h., er muss zumindest punktuell mit einem Teil der hinteren Körperhälfte direkten Kontakt mit festen Objekten haben. Ohne einen solchen mechanischen Kontakt kann er selbst nicht zur Ruhe kommen und ist z.B. auch nach einem Fang nicht zur Ruhe zu bringen.

Diese zwanghafte Kontaktsucht steigert sich noch, wenn es um den körperlichen Kontakt zu Artgenossen während der Ruhephasen geht, und zeigt dabei zum Teil recht seltsame Auswüchse. So kann man in großen Aquarien beobachten, dass Aale trotz genügend zur Verfügung stehender Unterschlupfmöglichkeiten meist alle zusammengedrängt und zum Teil sogar total verknotet an einer Stelle liegen.

Unglaublicher erscheinen aber bestätigte Berichte über Gelbaale die sich in Mengen von bis zu ca. 30 Tieren vor Querverbauungen zu großen Bündeln von bis zu 1,5 m Durchmesser verschlungen haben. Auch Blankaale sollen derartige Knotenkugeln, sogar mit Durchmessern bis zu 2 m, gebildet und sich während der Laichwanderung in dieser Formation sogar stromabwärts treiben lassen haben. Bei jeglichem Angriff (z.B. Fangversuchen mit Speeren) entwirrten sich diese Gebilde jedoch innerhalb weniger Sekunden.

Innerhalb der Haut von Aalen und dem meisten anderen Fischen befindet sich darüber hinaus ein von der Evolutionsgeschichte inzwischen weitestgehend abgeschafftes Fernortungssystem, welches auch auf kontaktlose Wahrnehmung weiter entfernte Unterwasserobjekte jeglicher Art spezialisiert ist.

Die Seitenlinie, bzw. dass was augenscheinlich häufig dafür gehalten wird, ist im Grunde jedoch kein eigenständiges Sinnesorgan, sondern beschreibt vielmehr die Anordnung und Lage mehrerer gleichartig aufgebauter Sinnesorgane mit gleicher Funktion und Arbeitsweise innerhalb der Fischhaut.

Diese Seitenlinienorgane befinden sich entlang eines von außen gut erkennbaren, linienförmigen Versorgungstraktes, der etwa mittig, sowie längs der beiden Körperflanken, vom Kopfende bis zum Schwanzende führt und den Aal, sowie vielen anderen Fischarten, optisch auf beiden Seiten quasi in Ober- und Unterkörper teilt. Dieser Versorgungstrakt wird leider häufig etwas oberflächlich als die Seitenlinie präsentiert.

Seitenlinie
Seitenlinie

Beim Aal spaltet sich diese Linie im Kopfbereich offensichtlich in 3 Linien auf. So gibt es hier diese Ansammlung von Sinnesorganen um die Maul-, Nasen- und Augenregion und zeigt dort, bei genauerer Betrachtung, ebenfalls erkennbar getrennte Organkanäle.

Bei den Seitenlinienorganen des Aals handelt es sich zum einen um erkennbare Porenöffnungen in der Haut und zum anderen um die zu einer dicht dahinter liegenden, mit gallertartiger Lymphe (Schleim) gefüllten Versorgungsröhre führenden Versorgungskanäle, in welchen sich jeweils sehr viele Haarsinneszellen befinden. Diese feinen Haarrezeptoren erfassen extrem schnell jegliche Veränderungen des äußeren Wasserdrucks, im begrenzten Maße sogar Schallwellen, und leiten diese Signale blitzschnell an das Gehirn weiter, welches daraus z. B. Größe, Art, Standort oder Quelle ermitteln kann und somit blitzschnelle bzw. reflexartige Reaktionen ermöglicht. So ist Aalen auch in absoluter Dunkelheit, auf Grund dieser Druckreize, eine zügige Fortbewegung ohne ständige Kollision mit im Gewässer befindlichen Hindernissen möglich. Und so ist es auch erklärlich, weshalb Fische in einem Aquarium nicht fortwährend gegen die Glasscheiben schwimmen. Sie können die Scheibe mit ihrem Ferntastsinn spüren. Die Druckwellen, die durch die eigenen Schwimmbewegungen erzeugt werden und ebenfalls auf die Seitenlinienorgane wirken, werden dabei mittels bidirektionaler Funktionsweise der Seitenlinienorgane neutralisiert.

Diese Ferntastorgane werden auch als Kanalneuromasten bezeichnet, die vermutlich ein Vorläufer der heutigen Ohren darstellen und beim evolutionären Übergang von den Amphibien zu den Reptilien verloren gegangen sein sollen. Imposantestes Beispiel für die Funktion dieser Organe ist wohl das Verhalten eines Sardinenschwarmes im offenen Meer, der sich quasi wie ein einziges Lebewesen zu bewegen scheint.

Nach neuesten Erkenntnissen ist die Seitenlinie aber nicht nur in der Lage Druck- und Schallwellen wahrzunehmen. So hat man innerhalb dieser Seitenlinienorgane offenbar Magnetit-Kristalle entdeckt, die sonst nur bei Tiefseefischen, elektrischen Fischen sowie bei Langstreckenwanderern wie z. B. Zugvögeln vorkommen sollen. Diese Kristalle werden wegen ihrer hervorragenden Magnetischen Eigenschaften zur Herstellung von Kompassen verwendet.

Es wird daher vermutet, dass mit der Seitenlinie auch magnetische und sogar geringe elektrische Wellen bzw. Feldveränderungen vom Aal erkannt werden können. Somit wäre er in der Lage, sich bei seinen Wanderungen am Magnetfeld der Erde zu orientieren und würde so zum Beispiel auch zu den Laichplätzen in der Sargassosee zurückfinden. Diese Annahmen werden durch viele internationale Forschungen und Experimente in Flüssen, an der Küste und sogar im offenen Meer, mit den relativ standorttreuen Gelbaalen, gestützt. So wurden z. B. Gelbaale gefangen, markiert und anschließend Kilometerweit entfernt von ihrem ursprünglichen Standort wieder ausgesetzt. Der Transport zum Ort der Aussetzung erfolgte dabei nicht unbedingt auf dem kürzesten Weg. Nun brauchte man nur noch abzuwarten, wo und wann diese Aale den Fischern oder Anglern wieder an den Haken gehen würden. Die Ergebnisse waren erstaunlich.

Bei einem Versuch in der Nordsee wurden 75 % der wieder gefangenen markierten Aale an ihrem ursprünglichen Standort wieder gefangen. Weitere 10 % wurden auf dem Weg zwischen Aussetzungsort und Heimatstandort wieder gefangen. Dabei hatten die Aale offensichtlich auch noch den kürzesten Weg zurück zum Heimatstandort gewählt. Die ersten Rückkehrer dürften bereits nach ca. 2 bis 3 Tagen wieder “zu Hause” eingetroffen sein.

Auch andere Untersuchungen haben ergeben, dass die meisten Aale bis zu einer Entfernung von gut 100 Kilometern wieder zurückfinden. Einige Exemplare sogar aus Entfernungen von über 200 Kilometern. Dabei war es auch völlig egal, in welcher Himmelsrichtung die Aale ausgesetzt wurden.

Welche Auswirkungen die auf See geplanten Offshore-Windparks, mit ihren elektrischen und magnetischen Feldern, auf die besondere Laichwanderung der Aale haben werden, wird man vermutlich erst bemerken, wenn es keine Aale mehr gibt….

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