Abwanderung und Fortpflanzung 1.1

Seit Jahrtausenden ist die Vermehrung der Aale für die Wissenschaft ein ungelöstes Problem und gab seit je her wiederholt Anlass für die verrücktesten Hypothesen, Legenden und Mystizismen. Dabei ist wohl die Geschichte, wie die im Meer lebende Aalmutter (zoarces viviparus) zu ihrem Namen kam, noch die Harmloseste. Heute weis man, dass Aale nicht aus dem Urschlamm der Erde geboren werden, dass sie nicht die Frucht aus der Paarung von Schlangen und Würmern sind und sich schon gar nicht aus verlorenen Pferdehaaren entwickeln.

Viele bekannte Forscher haben Jahrhunderte lang vergeblich versucht, die rätselhafte Aalvermehrung zu entschlüsseln. So z. B. Aristoteles, von dem die o.g. Theorie mit dem Urschlamm stammt. Oder Sigmund Freud, der unzählige Aale auseinander genommen hat, um hinter das Geheimnis der Vermehrung zu kommen, bevor er sich entnervt der Erforschung des Menschlichen Geistes zugewandt hat.

Sargassosee
Sargassosee

Trotz unzähliger Forschungsreisen und inzwischen modernster Tauchtechnik, ist es bis zum heutigen Tage noch nie einem Menschen gelungen, die Fortpflanzung der Aale in freier Wildbahn zu beobachten und somit den genauen Ort der vermutlichen Massenvermehrung ausfindig zu machen. Gleichwohl konnte die Wissenschaft im Laufe der letzten Jahrhunderte zumindest einige Puzzleteile dieses Rätsels aufdecken und zusammenfügen.

Eine der bedeutendsten Erkenntnisse war wohl die Feststellung, dass Aale katadrome Wanderfische sind. Also im Meer geboren werden, in Küsten- und Binnengewässer einwandern, dort aufwachsen um sich letztlich zur Fortpflanzung wieder ins offene Meer zurückziehen. Bevor es jedoch zur Fortpflanzung kommt, haben zumindest die europäischen Aale die in der Tierwelt wohl einzigartigste und längste Laichwanderung der Welt zu überstehen.

Ausgangspunkte all dieser Wanderungen sind die jeweiligen Lebensräume in den Küsten- und Binnengewässern der natürlichen und künstlichen Einzugsgebiete des europäischen Aals. Hier haben sich die sogenannten Gelbaale auf ihre letzte Reise innerhalb von durchschnittlich ca. 10 Jahren vorbereitet. Einige von ihnen machen sich bereits nach 5 Jahren schon wieder auf die Reise, weil sie sich durch natürliche Aufstiegsmöglichkeiten ihr Gewässer aussuchen konnten und somit besonders gute Bedingungen zum Abwachsen hatten.

Andere wurden über Besatzmaßnahmen in möglicherweise weniger geeignete bzw. nicht zusagende Gewässer eingebracht und benötigen deshalb schon mal 20 Jahre zum Abwachsen. Es ist also zu beachten, dass keine kompletten oder konkreten Jahrgänge abwandern, sondern nur die entsprechend weit entwickelten Exemplare aus den verschiedenen Jahrgängen einer gewissen Periode.

Sobald die Gelbaale genügend Fettreserven aufgebaut haben, beginnt die Umwandlung zum sogenannten Blankaal. Dieser Prozess zieht sich über einen längeren Zeitraum hin und setzt sich auch noch während der Abwanderung weiter fort. Die Augen der Aale vergrößern sich nach und nach deutlich, um an die Verhältnisse in der Tiefsee besser angepasst zu sein. Das gesamte Nahrungs- und Verdauungssystem wird zu Gunsten, der sich erst jetzt erkennbar ausbildenden Geschlechtsorgane, zurückgebildet. Spätestens jetzt beginnen die Aale zu wandern und die Nahrungsaufnahme schrittweise einzustellen. Diese Abwanderungen finden im Grunde zwar das Ganze Jahr hindurch statt, allerdings nicht in allen Gebieten und Regionen gleichzeitig. In küstenfernen Regionen wird die Abwanderung früher erfolgen als in küstennahen Gewässern. Dennoch kann es in bestimmten Nächten, sowie bei normaler Bestandsdichte, vereinzelt zu regelrechten Massenwanderungen kommen. Denn bei der Bildung der Geschlechtsorgane werden offenbar Pheromone ins Wasser abgegeben, die von ausgewachsenen Artgenossen wahrgenommen werden und bei diesen ebenfalls die Bildung von Geschlechtsorganen und somit die Wanderung auslösen sollen.

Nach Ankunft in den Flussmündungen legen die Aale nur eine sehr kurze Pause ein, um sich wieder an das Salzwasser zu gewöhnen. Hier trifft dann auch der überwiegend aus Weiblichen Aalen bestehende Binnenbestand mit den überwiegend Küstennah verbliebenen männlichen Tieren zusammen und löst eine ähnliche Reaktion aus. Anschließend erfolgt die Abwanderung ins Meer.

Alle Experimente, den weiteren Weg der Aale mittels angebrachter Funksender zu verfolgen, scheiterten bisher. Spätestens am Kontinentalsockel bei ca. 200m Tiefe und mit Beginn der Tiefsee entschwinden die Aale in Regionen aus dehnen kein hinreichendes Funksignal mehr an die Oberfläche dringen kann und werden nie wieder gesehen. Es wird jedoch vermutet, dass die Aale mit einer Geschwindigkeit von ca. 40 km/Tag den Atlantik, entgegen dem Golfstrom, durchqueren und nach ca. 6 Monaten ohne Nahrungsaufnahme und ohne Pause ihr Ziel erreichen. Dabei verlieren sie unglaubliche zweidrittel Ihres Körpergewichtes.

Über den genauen Ort der Fortpflanzung gibt es, wie bereits Anfangs erwähnt, keine geografisch exakten Angaben.

Sargassosee
Sargassosee

Als Erfolg vieler Forschungsreisen, insbesondere des letzten Jahrhunderts, weiß man heute aber mit relativer Sicherheit, dass sich sowohl europäische als auch amerikanische Aale im Westatlantik im Gebiet der heutigen Sargassosee (auch Sargassomeer genannt) also im östlichen Bereich des unter Seefahrern berüchtigten Bermudadreiecks, über einer Gewässertiefe von ca. 5000 m, paaren.

Der Grund für diese Annahme ist, dass in diesem sagenumwobenen, unberechenbaren und zugleich extrem nährstoffreichen Seegebiet die bisher kleinsten Aallarven in ca. 400 m Tiefe gefangen werden konnten. In Versuchen fand man heraus, dass zunächst die Weibchen ihre ca. 1 Millionen Laicheier/Kg Körpergewicht ins Wasser abgeben, die dann von mehreren Männchen sofort befruchtet werden. Der Laich enthält einen Öltropfen der ihn vor einem absinken in lebensfeindliche Tiefen schützt und ihn wahrscheinlich sehr langsam aufsteigen lässt.

Nach ca. 2 Tagen schlüpfen bereits die ersten Aallarven in ca. 400 m Tiefe und werden mit dem Golfstrom zunächst nur passiv in Richtung Europa abgetrieben. Rund 98 % des befruchteten Laichs erreicht das Larvenstadium jedoch nicht.

In welcher Gewässertiefe die Fortpflanzung selbst stattfindet, ist allerdings weiterhin unbekannt. Sie schwankt aber vermutlich zwischen 500 m und 1000 m Tiefe, da für den Laichvorgang eine Temperatur von ca. 17 °C als günstig erachtet wird und im gesamten Laichgebiet bisher noch niemand einen laichreifen Aal fangen bzw. entdecken konnte. Auch was mit den Alttieren nach der Paarung geschieht, ist nicht abschließend untersucht. Auf Grund der stattgefundenen organischen Umwandlungen zum Blankaal (Rückbildung des gesamten Nahrungs- und Verdauungssystems zugunsten eines leistungsfähigen Fortpflanzungssystems) und der erwähnten Schwächung (Gewichtsverlust) während der extremen Wanderung, kann wohl davon ausgegangen werden, dass ähnlich wie bei den Lachsen, das Laichgeschäft der Aale auf Kosten des eigenen Lebens abgeschlossen wird. Es soll jedoch auch nicht unerwähnt bleiben, dass im gesamten Gebiet der Sargassosee auch noch nie ein toter Aal gefunden worden ist.

Obwohl das Meer an dieser Stelle die meiste Zeit äußerst Ruhig ist (kaum Wellengang und keine Strömung), ist es bisher niemanden gelungen in entsprechende Tiefen vorzudringen, um das Rätsel der Vermehrung zu lösen. Dies liegt zum einen an den hohen Druckverhältnissen in der Tiefe (eine normale Scheckkarte müsste das Gewicht von über 30 Tonnen aushalten können), zum anderen wachsen dort riesige und undurchdringbare Tangwälder (Sargassum), wonach das Gebiet auch letztlich benannt worden ist.

Viele Aale werden bei ihrer Wanderung indes durch Querverbauungen aufgehalten. Schlimmer sind jedoch die Totalausfälle durch Aalbesatz in geschlossene oder ungeeignete Gewässer. Einem Großteil des europäischen Aalbestandes wird auf diese Weise die Chance zur Fortpflanzung und Arterhaltung genommen.

Es ist zwar bekannt, dass der Wander- und Fortpflanzungstrieb der Aale derart ausgeprägt sein kann, dass ein Aal zur Laichwanderung auch ein Gewässer verlässt, jedoch enden diese bestandbedingt recht selten gewordenen Fluchten nur vereinzelt in einem geeigneten Gewässer.

Landschleicher
Landschleicher

Früher, als Aale noch zu den sog. Massenfischen gehörten, wurden häufiger Landfunde von toten Aalen gemeldet, die mit Fischdieben in Verbindung gebracht wurden, welche ihre illegale Beute wohl bei der Flucht verloren hätten. In Wahrheit handelte es sich jedoch oft schlichtweg um vom Fortpflanzungstrieb gesteuerte Aale, die weit ab von jeglichem Einzugsgebiet massenhaft eingesetzt wurden und somit unweigerlich sterben mussten, da auf Grund ihrer vorangeschrittenen Entwicklung irgendwann keine Nahrungsaufnahme mehr möglich war. Sie hatten also letztlich die Wahl zwischen langsam verhungern oder beim Landgang elendig zu vertrocknen!

Aus geschlossenen oder kraftwerksverbauten Gewässern gelingt die Wanderung in der Regel also nicht. Mit jedem dieser falsch besetzten Aale, werden für zukünftige Generationen tausende Jungaale aus den Ursprungsgewässern quasi verhindert. Der Aalbesatz solcher Gewässer ist deshalb zukünftig europaweit nur noch unter sehr strengen Voraussetzungen erlaubt.

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