Aal in Gefahr – Zwischen Tradition, Aalbesatz und Aalschutz

Ein Titel, der mahnt: Der Europäische Aal steht kurz vor dem Verschwinden. Zwei NDR-Dokumentationen – „Streit um den Aal“ (2023) und „Aal in Gefahr“ (2025) – zeigen den Konflikt um einen Fisch, der Fischer ernährt, Angler fasziniert und Forscher schwarzsehen lässt. Es geht längst nicht mehr nur ums Angeln, sondern um den Erhalt einer Art – und eines Stücks norddeutscher Kultur.
Für viele Küsten- und Binnenfischer ist der Aal der letzte Brotfisch. Ein Fangverbot, wie es der Internationale Rat für Meeresforschung (ICES) fordert, würde ihre Existenz beenden. Schon heute gilt in der Ostsee eine Schonzeit von sechs Monaten für Berufsfischer – von Mitte September bis Mitte März und Angler dürfen dort sogar ganzjährig keine Aale mehr gefangen werden.
Auf dem Hamburger Fischmarkt verkauft Aale-Dieter seit über 60 Jahren Aale – und findet noch Abnehmer. Bei meinem letzten Besuch sah es allerdings eher nach „Tote Hose“ aus. In Schleswig an der Schlei herrscht aber nach wie vor noch eine gute Nachfrage. Doch die Fänge brechen im Allgemeinen ein, und der Nachwuchs bleibt aus. Andere Interessenten/Organisationen sehen dies anders. Seit den 1980er-Jahren soll der Aalbestand in Europa um bis zu 99 % zurückgegangen sein.

„Wir Fischer sind es, die den Aal schützen und dafür sorgen, dass er uns erhalten bleibt“, sagt einer der im Film porträtierten Berufsfischer.

Was für manche wie ein Widerspruch klingt, ist für die Fischer gelebte Realität: Sie beteiligen sich an Aalbesatzmaßnahmen, um den Bestand zu stützen und den Aal für kommende Generationen zu erhalten.
Das sogenannte Aalutsetten – also das Aussetzen von Jungaalen – soll den natürlichen Nachwuchsmangel ausgleichen. Früher zogen die Glasaale von selbst in die Flüsse. Heute stoßen sie auf Hindernisse: Wehre, Schleusen und Wasserkraftwerke, die Wanderwege versperren oder Aale töten. Viele Fischereibetriebe und Angelvereine investieren viel Zeit und Geld in den Besatz. Doch Wissenschaftler des Thünen-Instituts sehen das kritisch. Sie weisen darauf hin, dass es keinen wissenschaftlichen Nachweis gibt, dass der Besatz die Bestände tatsächlich verbessert. Zu viele Glasaale sterben bereits bei Fang und Transport – und der hohe Bedarf befeuert den illegalen Handel nach Asien, der längst mafiöse Züge angenommen hat.

Ein Meeresökologe bringt es im Film auf den Punkt:

„Man weiß zu wenig über die Zusammenhänge, um sagen zu können, ob der Mensch hier hilft – oder nur eingreift, weil er nicht loslassen will.“
Die Forderung nach einem europaweiten Fangverbot spaltet die Lager. Naturschützer und Wissenschaftler sehen darin die letzte Chance für den Aal. Fischer und Angler dagegen fürchten, dass die Art dann aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwindet – und niemand mehr ein echtes Interesse an ihrem Schutz hat.

Für viele Angler ist klar:

Aalschutz funktioniert nur mit, nicht gegen die Aalangler, die sich mit dem Aal beschäftigen. Besatzprogramme, Aufklärung, Renaturierung – alles gehört zusammen.
Die Dokus zeigen eindrücklich, dass der Rückgang des Aals viele Ursachen hat:

Lebensraumzerstörung: Begradigte Flüsse, fehlende Rückzugsräume und verbaute Ufer. Wasserkraftwerke: Turbinen zerfetzen jedes Jahr unzählige abwandernde Blankaale. Umweltbelastung: Schwermetalle, Pestizide und Mikroplastik belasten die Bestände. Parasiten & Krankheiten: Vor allem die Schwimmblasenwürmer (Anguillicola crassus) schwächen wandernde Tiere.

Es ist ein Zusammenspiel auch für viele anderen Faktoren (illegaler Handel, auswuchernde Kormoranpopulation, veränderte Meeresströme, u.v.m.) – und kaum einer lässt sich allein durch Fangverbote lösen.
Ein Beispiel, das Mut macht, zeigt der Film an der Unteren Havel. Über 20 Kilometer Flusslauf wurden dort renaturiert: Deiche zurückgebaut, Altarme geöffnet, Auwälder neu angelegt. Heute leben dort über 1 100 bedrohte Tier- und Pflanzenarten, darunter auch der Aal. Solche Projekte zeigen: Freie Flüsse, sauberes Wasser und weniger Barrieren helfen dem Aal weit mehr als Symbolpolitik. Wenn er wieder wandern kann, hat er eine echte Überlebenschance.

Im Vergleich zur älteren Doku „Streit um den Aal“ von 2023 wirkt die neue NDR-Story deutlich ausgewogener. Viele Szenen stammen allerdings schon aus der ursprünglichen Doku. Sie zeigt Fischer, Wissenschaftler und Verbraucher – und alle stehen auf derselben Seite, auch wenn sie es unterschiedlich sehen. Es geht nicht um „Schuld“, sondern um Verantwortung.
Wer heute noch Aale fängt, trägt Verantwortung. Nicht, weil das Angeln verboten gehört, sondern weil jeder gefangene Aal zählt – und jeder zurückgesetzte auch.
Aalangler können viel tun:
• auf Schonzeiten und Schonmaße achten, • persönliches Entnahmefenster bewusst und sinnvoll einführen • an Besatz-, Gewässerpflege- und Naturaktionen teilnehmen oder zu unterstützen.
Der Aal braucht kein Gejammere. Wenn wir alles Notwendige und Mögliche schaffen, wird er auch uns erhalten bleiben – als Fisch, als Faszination, als Teil unserer Kultur.

🎥 Video-Tipps (YouTube):

„Streit um den Aal“ – NDR 2023

„Aal in Gefahr“ – NDR Story 2025