Rückblick 2005 – Januar: Der Aal in der Literatur

Der Film „Die Blechtrommel“ hat wohl zur Aussage beigetragen, der Aal sein ein Aasfresser. Schließlich sieht man dort einen abgetrennten Pferdekopf der voller Aale steckend aus dem Wasser gezogen wird. Liest man das Buch wird man etwas schlauer…. „Na nu mechten wä … “ und „Beßchen kieken . . . “ ständig wiederholend hievte der Stauer das Seil weiterhin, doch nun mit mehr Anstrengung, kletterte dem Seil entgegen die Steine hinunter und griff – Mama drehte sich nicht rechtzeitig genug weg – breitarmig griff er in die aufblubbernde Bucht zwischem dem Granit, suchte, faßte etwas, faßte nach, zog und schleuderte, laut Platz fordernd, etwas triefend Schweres, einen sprühend lebendigen Brocken zwischen uns: einen Pferdekopf, einen frischen, wie echten Pferdekopf, den Kopf eines schwarzen Pferdes, einen schwarzmähnigen Rappenkopf also, der gestern noch, vorgestern noch gewiehert haben mochte; denn faul war der Kopf nicht, stank nicht, höchstens nach Mottlauwasser; aber danach roch alles auf der Mole.

Schonstand der mit der Stauermütze – die saß ihm jetzt im Nacken – breitbeinig über dem Stück Gaul, aus dem sich wütend hellgrün kleine Aale schleuderten. Der Mann hatte Mühe, sie zu fangen; denn Aale bewegen sich auf glatten, dazu noch feuchten Steinen schnell und geschickt. Auch waren sofort Möwen und Möwengeschrei über uns. Die stießen zu, schafften spielend zu dritt oder viert einen kleinen bis mittleren Aal, ließen sich auch nicht vertreiben; denn denen gehörte die Mole.
Trotzdem gelang es dem Stauer, der zwischen die Möwen schlug und zugriff, vielleicht zwei Dutzend kleinere Aale in den Sack zu stopfen, den Matzerath hilfsbereit, wie er sich gerne gab, hielt. So konnte er auch nicht sehen, daß Mama käsig im Gesicht wurde, zuerst die Hand und gleich darauf den Kopf auf Jans Schulter und Sammetkragen legte. Aber als die kleinen und mittleren Aale im Sack waren und der Stauer, dem bei seinem Geschäft die Mütze vom Kopf gefallen war, anfing, dickere, dunkle Aale aus dem Kadaver zu würgen, da mußte Mama sich setzen, und Jan wollte ihr den Kopf weg drehen, aber das ließ sie nicht zu, starrte unentwegt mit dicken Kuhaugen mitten hinein in das Würmerziehen des Stauers.
„Beßchen kieken!“ stöhnte der zwischendurch. „Na nu mechten wä!“ Riß, mit dem Wasserstiefel nachhelfend, dem Gaul das Maul auf, zwängte einen Knüppel zwischen die Kiefer, so daß der Eindruck entstand: das vollständige gelbe Pferdegebiß lacht. Und als der Stauer – jetzt sah man erst, daß der oben kahl und eiförmig aussah – mit beiden Händen hineingriff in den Rachen des Gaules und gleich zwei auf einmal herausholte, die mindestens armdick waren und armlang, da riß es auch meiner Mama das Gebiß auseinander: das ganze Frühstuck warf sie, klumpiges Eiweiß und Fäden ziehendes Eigelb zwischen Weißbrotklumpen im Milchkaffeeguß über die Molensteine und würgte immer noch, aber es kam nichts mehr; denn soviel hatte sie nicht zum Frühstück gegessen, weil sie Übergewicht hatte und unbedingt abnehmen wollte …
Nichts außer grünlichem Schleim kam – und die Möwen kamen. Kamen schon, als sie anfing zu spucken, kreisten tiefer, ließen sich fett und glatt fallen, schlugen sich um das Frühstück meiner Mama, hatten keine Angst vorm Dickwerden, waren durch nichts zu vertreiben durch wen auch? – wenn Jan Bronski sich vor den Möwen fürchtete und die Hände vor die schönen blauen Augen hielt. Aber auch auf Oskarnello hörten sie nicht, der seine Trommel gegen die Möwen einsetzte und mit Knüppeln auf weißem Lack gegen dieses Weiß wirbelte.

Doch das half nichts, das machte die Möwen höchstens noch weißer. Matzerath aber kümmerte sichüberhaupt nicht um Mama. Der lachte und äffte den Stauer nach, machte auf starke Nerven, und als der Stauer fast fertig war und zum Abschluß dem Gaul einen mächtigen Aal aus dem Ohr zog, mit dem Aal die ganze weiße Grütze aus dem Hirn des Gaules sabbern ließ, da stand zwar gleichfalls dem Matzerath der Käse im Gesicht, aber die Angeberei gab er dennoch nicht auf, kaufte dem Stauer für ein Spottgeld zwei mittlere und zwei starke Aale ab und wollte den Preis noch nachträglich runterhandeln.

… Es war Salz im Sack, damit die Aale sich in dem Salz totliefen, damit ihnen das Salz den Schleim von der Haut und auch von innen herauszog. Denn wenn Aale im Salz sind, hören sie nicht mehr auf zu laufen, die sind dann so lange unterwegs, bis sie tot sind und ihren Schleim im Salz gelassen haben. Das macht man, wenn man die Aale hinterher räuchern will. Das ist zwar von der Polizei und vom Tierschutzverein verboten, aber die Aale müssen trotzdem laufen. Wie sollte man sonst auch den Schleim ohne Salz von den Aalen herunter und von innen heraus bekommen. Hinterher werden die toten Aale mit trockenem Torf fein säuberlich abgerieben und ins Rauchfaß über Buchenholz zum Räuchern aufgehängt. Matzerath fand das gerecht, daß man Aale im Salz laufen ließ. Die gehen ja auch in den Pferdekopp, sagte er.

Und in menschliche Leichen gehen sie auch, sagte der Stauer. Besonders nach der Seeschlacht am Skagerrak sollen die Aale mächtig fett gewesen sein. Und mir erzählte noch vor einigen Tagen ein Arzt der Heil- und Pflegeanstalt von einer verheirateten Frau, die sich mit einem lebendigen Aal befriedigen wollte. Aber der Aal biß sich fest, und sie mußte eingeliefert werden und soll deswegen später keine Kinder bekommen haben.
– Günter Grass, Die Blechtrommel. 1959. Buchbestellung auf Amazon

Schreibe einen Kommentar