Rückblick 2005 – Januar: Der Tauwurm und die Vermehrung der Tauwürmer

Wenn man sich Umfragen zum Thema Köderwahl auf Aal oder Quappe anschaut, lässt sich immer wieder feststellen, dass der Tauwurm von mehr als 2/3 aller Angler als fängigster Köder angesehen wird. Dies mag daran liegen, dass er relativ günstig und leicht zu beschaffen ist oder auch daran, dass es eben solche Umfragen gibt und sich viel zu viele davon beeinflussen lassen. Insbesondere ein Anfänger wird sich auf solche Aussagen verlassen.

Und das ist am Anfang auch gut so. Um ohne viel Aufwand an den Köder Nr. 1 zu gelangen gibt es 2 Möglichkeiten. 1. kaufen und 2. selber sammeln. Um die begehrten Köder zu kaufen einfach im Angelfachgeschäft fragen. Dort erhält man meistens die Tauwürmer aus Kanada.

Um sich Tauwürmer selbst zu sammeln, muss man sie erst einmal finden. Ich denke, dass die Suche viel einfacher und schneller funktioniert, wenn man etwas über die Lebensweise, das Verhalten und das Ein oder Andere interessante Detail über den größten und bekanntesten Regenwurm Europas weiß.

Der Europäische Tauwurm (Lumbricus terrestris) ist noch vor dem Kompostwurm die bekannteste und verbreitetste Art unter den Regenwürmern. Wobei der Name Regenwurm wohl nichts mit dem Regen der vom Himmel fällt zu tun hat, sondern eher etwas mit dem “sich regen” also einer eifrigen Bewegung (hier unter der Erde) zu tun hat. Um einen regen Wurm eben. Er ist bis zu 30 cm lang, (in manchen Bundesländern entspricht dies dem Schonmaß für Aal….Man fasst es nicht!). Sein Körper ist im Kopfbereich Rot bis Braunviolett gefärbt und erhellt sich zum abgeplatteten Ende bis ins Blassrosa. Der Körper selbst besteht aus bis zu 180 Segmenten, welche über Längs- und Ringmuskeln, die den Würmern eigene Art der Fortbewegung ermöglichen. Jedes dieser Segmente ist zudem mit ausfahrbaren Borsten ausgestattet. Diese geben dem Wurm einen sehr guten Halt in seiner bis zu 7 m tiefen Wohnröhre. Die Atmung erfolgt über die Haut. Das Strickleiternervensystem des Regenwurms dürfte jedem aus dem Biologieunterricht noch bekannt sein. 1 Gehirn, 2 Bauchmarkstränge und je eine Querverbindung in jedem Segment.

Der Tauwurm ist ein Zwitter, kann sich aber nicht mit sich selbst fortpflanzen. Ob ein Tauwurm die Geschlechtsreife erreicht hat, ist an einem auffälligen Gürtelsegment (Clitellum) erkennbar. Ohne dieses Segment sind Tauwürmer nicht fortpflanzungsfähig. Obwohl jeder Wurm sollwohl männliche als auch weibliche Geschlechtsorgane hat, sind immer 2 Würmer zur Paarung notwendig. Hierzu legen sich die Würmer in entgegengesetzter Richtung genau an der Stelle des Gürtelsegments aneinander, und verkleben an dieser Stelle miteinander. Nach der Paarung legt der Tauwurm einen kleinen, helbraunen bis gelblichen, max. 90g schweren Kokon mit mehreren Eiern tief in der Erde ab. Es entwickelt sich meistens grundsätzlich aber nur ein einziger Wurm daraus. Die Brutzeit beträgt 90 Tage. Bis zur Geschlechtsreife vergehen weitere 200 bis 250 Tage. Die Lebensdauer in der Natur beträgt grundsätzlich nur 2 Jahre, oft wird dieses Alter jedoch nicht erreicht, da es sehr viele Fressfeinde und auch ein paar Angler gibt. In wenigen Ausnahmefällen erreicht ein Tauwurm auch mal 10 Jahre.

D.h., um sich mittels einer “Tauwurmzucht” mit Tauwürmern zu versorgen braucht man sehr viel Zeit, Geduld und auch viel Glück. Im Grunde, so meine Meinung, lohnt sich der Aufwand angesichts des äußerst geringen Nutzens nicht. Lediglich zur Aufbewahrung für eine spätere Verwendung oder zur Zucht von Mist- bzw. Kompostwürmern (kürzere Brutzeit und schneller geschlechtsreif) eignen sich die allgemein bekannten Behälter und Bauanleitungen.

Damit der Tauwurm an der Luft nicht austrocknet, bevorzugt er kühle und feuchte Nächte um sich an der Erdoberfläche zu paaren. Zusätzlich wird von der Haut Schleim abgesondert, der den Wurm vor dem Austrocknen schützt. Das Frühjahr und der Herbst sind somit die besten Zeiten um Tauwürmer zu sammeln. Sowohl bei Bodenfrost als auch bei starker Hitze und Trockenheit verzieht sich der Tauwurm bis tief in die Erde. Der Tauwurm ernährt sich von abgestorbenen Pflanzenteilen, die er in das an der Oberfläche weit verzweigte Röhrensystem zieht. Die Verdauungsreste werden zum Teil aus der Wohnröhre heraus geschoben. An diesen kleinen Kleckerburgen ist die Anwesenheit der scheuen Würmer zu erkennen.

Keine Häufchen = keine Tauwürmer.

Tauwürmer sind sehr scheu und verschwinden blitzschnell in Ihrer Wohnröhre, wenn sie mit einer normalen Taschenlampe angeleuchtet werden oder der Boden durch Schritte erschüttert wird. Da sich die Tauwürmer aber nur bei Dunkelheit an die Oberfläche wagen, braucht man aber irgend eine Lichtquelle, um sie dennoch sehen zu können. Es hat sich herausgestellt, dass Tauwürmer Rotlicht nicht sehen bzw. spüren können. Am besten eignet sich natürlich eine Kopflampe mit Rotlichtfunktion. Achtung nicht solche die Blinken nehmen, dabei wird man wirr im Kopf. Zur Not geht auch ein abnehmbares Fahrradrücklicht mit roten Dioden, welches man aber zwischen die Zähne klemmen muss, wenn man beide Hände frei haben will. Mit der einen Hand schnappt man sich das hellere Hinterende eines Wurms, wenn es denn draußen liegt, und in der anderen Hand hält man die Wurmdose. Sollten die Würmer, wie so oft, nur halb aus der Röhre heraus schauen, müssen sie am Kopfende geschnappt werden. Hier muss beherzt zugegriffen werden, sonst ist der Wurm schneller als man gucken kann verschwunden. Es ist darauf zu achten, nicht sofort am Wurm zu zerren.

Einfach nur den Wurm auf Spannung halten und, wenn man ihn sicher gefasst hat, vorsichtig den Zug verstärken. So verhindert man das zerreißen des Wurms. Sollte es dennoch einmal passieren, ist der Wurm für die Wurmdose ungeeignet und sollte statt dessen auf einen feuchten Bereich zurückgesetzt werden.

Denn Tauwürmer besitzen Stammzellen. Diese Zellen können theoretisch zu allem werden, was ursprünglich vorhanden war. Praktisch ist es für den abgetrennten Kopfteil immer möglich ein neues Schwanzende auszubilden. Das Schwanzende kann jedoch nur einen neuen Kopf regenerieren, wenn nicht mehr als 16 Segmente des Kopfteils abgetrennt wurden. Fehlen mehr Teile stirbt der Hinterteil ab und nur aus dem Vorderteil wird ein neuer Wurm.

Nicht das irgendwer jetzt auf die Idee kommt eine Tauwurmzucht anzulegen und die Zahl zu verdoppeln, indem er allen die Köpfe abschneidet….

Im Garten und auf der Wiese sind sie besser und einfacher aufgehoben und vor allem viel nützlicher. Eine Tauwurmzucht sollte sich nur jemand anschaffen, der keine Möglichkeit hat sich die Würmer anders zu beschaffen bzw. auch im Winter und im Hochsommer noch verstärkt mit Tauwurm angeln möchte.

Der Tauwurm lockert den Boden durch seine Grabetätigkeit auf und sorgt so für eine gute Durchlüftung des Bodens. Ebenso kann Wasser viel besser vom Boden aufgenommen werden. Zudem frisst er alte und abgestorbene Pflanzenteile und wandelt diese in wertvolle Pflanzennährstoffe um. Untersuchungen haben ergeben, dass Tauwurmkot 11 mal mehr Kalium, 7 mal mehr Phosphat, 2,5 mal mehr Magnesium, 5 mal mehr Stickstoff und 50 % mehr Calcium als normale Erde enthält.

In Deutschland steigt pro Jahr die Höhe von Weideflächen durchschnittlich um 5 mm an. Nur durch den Kot von Regenwürmern! Oder anders ausgedrückt: Auf einer Weidefläche von 100 x 100 Metern (1 ha) werden pro Jahr 40 Tonnen nährstoffreiche Regenwurmköddel produziert.

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